Pressespiegel
Wir danken den Journalisten für den Besuch in unseren Konzerten und freuen uns, dass wir Ihnen die folgenden Artikel in einem Pressespiegel zur Verfügung stellen dürfen.
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„Drum schließ‘ ich mich in deine Hände“ lautete der Leitgedanke der „Motette“ am Samstagabend. Darunter trug das Ensemble Horizons unter Leitung von Matthias Klosinski A-cappella-Chöre von der Barockzeit bis heute vor; die Stiftskirche war sehr gut besucht.
Die Vielfalt der Musizierenden lässt es nicht immer zu, das Reihenmotto „Motette“ wörtlich zu nehmen und als wortbezogene geistliche Vokalmusik umzusetzen. In diesem Fall passte aber alles zusammen: Werkfolge, Inhalt, Raum und Klang; sogar der Sonntag „Estomihi“ (Sei bei mir) fand Eingang ins Chorprogramm. Nur die zur Predigt vorgegebene Bibelstelle aus Amos 5 weckte Widerspruch: „Ich hasse und verachte eure Feste“ und „Weg mit dem Lärm eurer Lieder!“
Das Ensemble „Horizons“, ein von Matthias Klosinski 2018 gegründeter und geleiteter Kammerchor mit Mitgliedern aus dem semiprofessionellen und professionellen Bereich, scheint geradezu prädestiniert für den musikalischen Gottesdienst. Um die dreißig bestens geschulte Stimmen füllten den weiten Raum der Stiftskirche, ausgewogen besetzt, in vielstimmiger Balance und rein intonierter Harmonie.
Differenzierte WortausdeutungLeicht und locker aus dem Stand erklang Johann Schelles „Komm, Jesu, komm“, ein Vorläufer der später vorgetragenen Bach-Motette. Strenger wirkte das fünfstimmige „Herr auf dich traue ich“ von Schelles Lehrer Heinrich Schütz, dabei fein differenziert in der Wortausdeutung. Der Psalmlesung durch Hochschulpfarrerin Inge Kirsner folgte Robert Schumanns doppelchörige(!), samtweich intonierte „Zuversicht“ und Zoltán Kodálys expressive, mit harter Deklamation und Kontrasten arbeitende Chorszene „Jesus und die Krämer“. Der romantische Tonfall kam später nochmals mit einem ebenfalls weich gerundeten Chorsatz von Peter Cornelius zur Geltung.
Weitere Verbindungslinien durch die Musikgeschichte wurden mit Ethel Smyths „Komm süßer Tod“ gezogen: Sie hat aus Bachs ausdrucksvoller Liedmelodie eine eigenwillige polyphone Neukonstruktion erbaut, die an Renaissance-Sätze erinnert; auch in diesem Fall erweiterte das Ensemble Horizons das Blickfeld des Publikums, gestützt auf hohe Vokalkultur und verhaltene Intensität, von Matthias Klosinski präzise und inspirierend geleitet.
Schmerzvolle AnbetungZweimal kam der 2014 verstorbene norwegische Komponist Knut Nystedt zu Wort, dessen moderne Chorkompositionen hohes Können verlangen. „O Crux“ wurde in perfekt kontrollierter Weise als schmerzvolle Anbetung der neuen Art zelebriert; sein „Immortal Bach“ bildete später den Schluss. Zuvor, nach dem Wochenlied, erklang jedoch ein berühmtes Original: Bachs Motette „Komm, Jesu, komm“, in freudig beschwingtem Wechselgesang und ruhiger Andacht.
Unter Nystedts Titel „Immortal Bach“ verbirgt sich eine Umwandlung von Bachs Lied „Komm, süßer Tod“. Die leidvoll absteigende Tonfolge bleibt dieselbe, doch die Tondauern werden so endlos gedehnt, dass der Atem der Singenden nicht reichen kann. Sie wurden auch hier an ihre Grenzen geführt, und dies – mittels weit verteilter Aufstellung – in einem großen menschlichen Klangraum, der alles einhüllte in den warmen Vielklang der Stimmen.
Nach dem noch recht verhalten besuchten Eröffnungskonzert setzte bei den Festival-Vorträgen am Samstag dann ein erfreulich großer, stetiger Publikumszustrom ein: jeweils gut 100 Zuhörer bei dem Josephine-Lang-Forscherpaar Sharon und Harald Krebs sowie bei Tilman Krause, Feuilleton-Chef der Tageszeitung „Die Welt“ und Nachfahre der Familie Köstlin, in die Josephine Lang 1842 einheiratete.
Und überwältigende 800 Zuhörer kamen in die Stiftskirchen-Motette am Vorabend des Erntedankfestes. Matthias Klosinski und sein 32-stimmiges Ensemble Horizons versammelten in ihrem findig recherchierten Programm Chorwerke von elf Komponistinnen, darunter Fanny Hensel Mendelssohn und Emilie Zumsteeg, die in den 1820er Jahren in Stuttgart den ersten Frauenchor Württembergs gründete und als eine der allerersten Dirigentinnen öffentlich in Erscheinung trat.
Programmatisch zu Beginn Hildegard von Bingen, eine der frühesten Komponistinnen der Musikgeschichte, deren Werke erhalten geblieben sind. Oben auf dem Lettner, wie eine aus entrückt fernen Zeiten herüberklingende Schola, sangen sieben Frauenstimmen die Marien-Antiphon „Quia ergo femina“. Ein einstimmig schlichter, leiser Einsatz.
Josephine Langs „Cyrie“ (!) war eine Uraufführung, wiederentdeckt und rekonstruiert von Harald Krebs, textiert von Ingo Bredenbach. Samtiges, edles As-Dur, ein seidig fließender Acappella-Klang. Beeindruckend die sonoren Bässe, mit ihrem chromatisch anziehenden Aufstieg und ihrem klangmächtigen Gang bis hinab zum tiefen C. Magisch die ganz zur Ruhe kommenden Schlussakkorde, immer noch und noch leiser. Langs „Lied an den Mai“ mit Anklängen an den befreundeten Silcher wirkte zu Erntedank etwas deplatziert, aber es war das nachvollziehbare und begrüßenswerte Anliegen, Langs gesamtes schmales Chor-Oeuvre aufzuführen, das vom SWR fürs Rundfunk-Archiv mitgeschnitten wurde. Darunter ein „Tauflied“ für Langs Enkel Felix von 1873, das Frauenchor-Ständchen „In dem Himmel ruht die Erde“ und ein „Ave Maria“ für Männerchor, unglaublich homogen und feinstofflich transparent. Subtil Clara Schumanns „Abendfeier in Venedig“.
Eine mehrfache Herausforderung, die Programmauswahl auf den liturgischen Rahmen der Motette abzustimmen, dabei eine dramaturgisch stimmige Abfolge zu schaffen und zugleich alle vier Hauptkomponistinnen des Festivals zu versammeln: neben Josephine Lang auch Luise Adolpha Le Beau („Vater unser“) und Ethel Smyth („Komm, süßer Tod“). Da Emilie Mayer keine Chormusik geschrieben hat, spielte Ingo Bredenbach an der Weigle-Orgel eine eigene Bearbeitung des Adagios aus Mayers Streichquartett g-moll op. 14, eine Choralfantasie über „Wer nur den lieben Gott lässt walten“. Die „Rückübersetzung“ dieser orgeltypischen Gattung auf die Orgel überzeugte musikalisch, war aber ein Fremdkörper im Chorprogramm und mit acht Minuten Dauer auch recht ausladend.
Tiefen Eindruck hinterließ die kontrapunktisch komplexe Choralmotette „Der 143. Psalm“ der einstigen Tübinger Jakobuskirchen-Kantorin Marianne Stoll, die 2012 im Alter von über 100 Jahren im Luise-Wetzel-Stift verstarb. Den Psalmtext durchwebt die Kompositionsschülerin von Johann Nepomuk David mit dem Luther-Lied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“. Betörend schön ein „Ave regina“ von Cecilia McDowall: prismatische Lichtbrechungen in immer neuen Klangreflexionen, von Klosinski buchstäblich auf Händen getragen, so behutsam geführt.
Seine Visitenkarte als hochkarätiges Solisten-Ensemble gab der Kammerchor zuletzt mit zwei zeitgenössischen Requiem-Vertonungen. Iris Szeghys „The Prayer“ (1998/2005) begann vermeintlich traditionell gregorianisch, mit fast unmerklichen Glissando-Verschleifungen. Beim Stichwort „Gaudia aeterna“ („ewige Freude“) dann ein Aufruhr in den Lüften, ein Blitzgewitter aus wild sich durchkreuzenden Sprech-, Ruf- und Glissando-Passagen.
Ganz zuletzt „In Paradisum“ der ukrainischen Komponistin Galina Grigorjeva. Ätherische Glasharmonika-Kristallklänge, die Klosinski mit weiten Armen dirigierte. Ein großer Moment, als kurz vor Ende in den Sopranen das a „ausscherte“, sich gegen den E-Dur-Akkord stemmte und in einer schmerzlich schönen, wahrhaftigen Dissonanz der Himmel aufriss. Stehender Beifall.
Die Uraufführung von Josephine Langs »Cyrie« für gemischten Chor a cappella, rekonstruiert von Harald Krebs und Ingo Bredenbach, stand in der Tübinger Motette in der Stiftskirche auf dem Programm. Das Ensemble Horizons zeigte sich auch in weiteren Beiträgen zum Komponistinnen-Festival in Hochform.
TÜBINGEN. So noch nie Vernommenes und viel zu selten Gehörtes prägten am Samstagabend die Tübinger Motette in der gut besuchten Stiftskirche: Dem Motto des Tübinger Musikfests folgend präsentierte das Ensemble Horizons unter der Leitung von Matthias Klosinski Chormusik von Komponistinnen aus verschiedenen Jahrhunderten. Musik der in Tübingen wirkenden Josephine Lang (1815-1880) und so mancher ihrer Zeitgenossinnen war dabei, aber auch Polyfonie neueren Datums und ein Gesang aus dem 12. Jahrhundert, Hildegard von Bingens Antifon an die Jungfrau Maria »Quia ergo femina«, die der Frauenchor als scheinbar schwerelos schwebendes Klanggespinst anlegte, jeden Ton wertschätzend, klar und leicht in der Linienführung, sich behutsam aufschwingend und zart verklingend.
Damit war ein Ton gesetzt. Dieses wertschätzende Singen sollten im Folgenden auch der Männerchor und der gemischte Chor bei ihren A-cappella-Darbietungen an den Tag legen. Besonders bemerkenswert: die Uraufführung von Josephine Langs »Cyrie«, rekonstruiert von Harald Krebs, Musikwissenschaftler an der Universität von Victoria, Kanada, und dem Tübinger Stiftkirchen- und Bezirkskantor Ingo Bredenbach. Romantik vom Feinsten! Was als sanftes, warmes Fließen begann, steigerte sich zu hohem Klangbewusstsein und berührendem Ausdruck. Ornamentatives brachte Bewegung in den Fluss. Bevor ein eindrucksvoll sachte gesungener Schlussakkord erklang, gab es Bewegung im Bass, legte sich zarter Schmelz in den Frauenstimmen darüber.
Schwungvoll und poesiegetränkt
Von Josephine Lang folgten an diesem Abend ein »Lied an den Mai«, ganz freudiges Wiegen, schwungvoll und poesiegetränkt, ein vom Männerchor in feiner Andacht gestaltetes »Ave Maria«, ein Tauflied, bei dem der gemischte Chor klangliche Wärme und eine gute Textarbeit bewies, und ein vom Frauenchor gestaltetes Ständchen (»In dem Himmel ruht die Erde«), das ein Bild ungetrübten Friedens malte und als Abendlied jedes (Kinder-)Schlafzimmer zieren würde - wenn auch nicht immer in dieser reichen Chorbesetzung.
Auch von Fanny Hensel sang der Chor Abendliches: »Schweigend sinkt die Nacht«, doppelchörig, ein apartes Stück. Durchaus fordernd für den Chor, mit exponierten Einzelstimmen und klanglichen Höhen, aber auch wohlig für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Wie ferner die Stücke von Emilie Zumsteeg (»Abendfeier«) und Clara Schumann (»Abendfeier in Venedig«), die der gemischte Chor wunderbar differenziert auszudeuten verstand. Luise Adolpha Le Beaus »Vater Unser« war pure Andacht und vor allem wunderschön.
Mit expressivem Gestus
Ethel Smyths »Komm, süßer Tod« wohnte ein berückender Ernst inne. Marianne Wahl-Stolls Vertonung des 143. Psalms formte der Chor eindrucksvoll mit expressivem Gestus. Kreisende Ton- und Textpassagen waren hier ein wiederkehrendes Stilmittel. Cecilia McDowalls »Ave regina« lebte wie Galina Grigorjevas »In Paradisum« von flächigen Klängen. Eingewoben waren erfahrener Schmerz und Zweifel, aber auch eine Friedensbotschaft.
Iris Szeghys »The prayer« - die Komponistin ist 1956 geboren - war Musik, die in Wellen ihre Wirkung entfaltete. Nicht zuletzt durch die variantenreiche Verwendung der Sprechstimme - »auf ungefährer Tonhöhe, mit Glissandi, mit vorgeschriebenem Rhythmus oder frei durcheinander gesprochen«, wie im Programmheft zu lesen war. Auch hier zeigte sich der Chor unter Matthias Klosinskis Leitung in Hochform. (GEA)
Beim Komponistinnen-Fest wird es auch eine Uraufführung geben. Das kanadische Musikwissenschaftler-Paar Sharon und Harald Krebs hat aus dem Nachlass von Josephine Lang einen Chorsatz ausgegraben. Ein Kyrie, von Lang kurioserweise „Cyrie“ geschrieben. Der einzeln stehende, etwa sechsminütige Mess-Satz, das einzige längere Chorwerk in ihrem Oeuvre, entstand möglicherweise in den 1850er-Jahren, als Langs Ehemann Christian Reinhold Köstlin bereits schwer an Kehlkopftuberkulose erkrankt war, vielleicht auch kurz nach seinem frühen Tod 1856. Kyrie eleison: „Herr, erbarme dich“. Wobei die Musik weder nach Hilfeschrei noch nach Anklage klingt. Stattdessen friedliches, versöhnliches As-Dur.
Vor zwei Jahren kam Matthias Ehm vom Tübinger Kulturamt, Projektleiter des Komponistinnen-Fests, auf Matthias Klosinski zu: Ob er beim Festival mit seinem Kammerchor Ensemble Horizons Langs „Cyrie“ uraufführen möchte. Anfang 2022 ging Klosinski in die Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, um das Originalmanuskript einzusehen. Tatsächlich handelt es sich um ein Fragment mit mehreren Lücken, das Harald Krebs zu einem sinnvollen Ganzen kompiliert hat. Zudem ist der originale Chorsatz nicht textiert, eine Praxis, die unter Komponisten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein üblich war: Bei den kürzeren Mess-Texten Kyrie, Sanctus oder Agnus Dei wurde die Textverteilung unter dem Chorsatz von den ausführenden Sängern selbst auf den Stimmverlauf angepasst. Mit der praxiserfahrenen und kundigen Textierung des rekonstruierten „Cyries“ wurde Stiftskirchen-Kantor Ingo Bredenbach beauftragt.
Uraufgeführt wird das „Cyrie“ in der Stiftskirchen-Motette am 30. September, im Rahmen des Komponistinnen-Fests. Für das gesamte 65-minütige Programm mit 16 Chorwerken von elf Komponistinnen hat Klosinski zwei Probenwochenenden angesetzt. „Das erste, um auf Betriebstemperatur zu kommen, das zweite für die Detailarbeit.“ Apropos Temperatur: Am zweiten Probenwochenende im Gemeindehaus der Eberhardskirche ist es 30 Grad heiß, ein Spätsommer-Nachmittag.
Chorleiter Matthias Klosinski – 1981 in Tübingen geboren und in Öschingen aufgewachsen – hat sein Ensemble Horizons 2018 ins Leben gerufen. Vier Projekte, dann kam Corona. Trotz längerer Pause über die Pandemiezeit hinweg ist es Klosinski gelungen, die 32-stimmige Stammbesetzung weitgehend zusammenzuhalten, paritätisch hälftig Frauen- und Männerstimmen. Ein professionelles Solisten-Ensemble, darunter zahlreiche Kirchen- und Schulmusiker. Das Repertoire wird zuhause einstudiert, zur Probe kommen alle optimal vorbereitet. Auch Klosinski hat eine sängerische Ausbildung absolviert, war als Kind bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und hat später die Prüfung zum C-Kirchenmusiker abgelegt. Als Tenor und Countertenor singt er in renommierten Ensembles wie dem ChorWerk Ruhr, dem SWR Vokalensemble oder dem Vocalconsort Berlin. In seinem „anderen Leben“ ist er Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit Professur an der Katholischen Stiftungshochschule München.
Langs „Cyrie“ steht stilistisch zwischen Mendelssohn und Bruckner, mit dem ersten hat sie die liedhaft linearen, weitgespannten Melodiebögen gemeinsam, mit dem zweiten die chromatisch durchsetzte, „dahinschmelzend“ absinkende Harmonik. Die Übergänge wiederum lassen an Rheinberger denken, etwa seine Es-Dur-Messe. Klangintensiv „pure“ Acappella-Chormusik, im 19. Jahrhundert „Cäcilianismus“ genannt. Plane Musik, aus der man „etwas machen muss“, wie Klosinski immer wieder fordert: „Das müsst ihr mehr feiern, die Klanglichkeit noch mehr herausbringen! Dynamisch noch mehr ausdifferenzieren, sonst wird das zu pauschal und zu gleichförmig. Mehr machen!“ Akkord für Akkord, in langsamem Stop-and-Go werden nun die Harmonien „ausgehorcht“. Bei der Hitze sacken Körperspannung und damit auch die Tonhöhe immer wieder ab. „Ihr seid so gut: Da hört man sofort, wenn mal ein Ton falsch ist“, kommentiert Klosinski und macht seinem Chor damit zugleich ein schönes Kompliment.
Überraschtes Aufhorchen in Takt 80: Es klingt „falsch“. Ein „Satzfehler“. Sogenannte Quint- und Oktavparallelen zwischen Tenor und Bass, die sich in starrer Kopplung parallel bewegen. Nach den Regeln der klassischen „Satzlehre“ wäre das ein grober Fehler. Regeln der Kontrapunktik, die Männer aufgestellt und jahrhundertelang für sich reserviert haben. Komponierenden Frauen war der Zugang zu diesem Wissen verwehrt – vom Aufstieg der christlichen Kirche bis ins späte 19. Jahrhundert. Felix Mendelssohn hat Josephine Lang ein paar Kontrapunkt-Stunden gegeben, ihr aber nur rudimentäre Grundkenntnisse vermittelt. Da diese „Fehler“ nur in einem einzigen Takt auftauchen und zudem geballt, stellt sich die Frage: Versehen oder Absicht? Unwissenheit oder Rebellion? Ein bewusster Verstoß gegen die Regeln der musikalischen Grammatik? Da sich dabei zudem schneidend scharfe Dissonanzen ergeben, könnte man in dieser Stelle sogar einen irritierenden Wendepunkt sehen – und müsste sie eben gerade betont hervorheben statt verschämt übergehen.
Überhaupt beginnt das Cyrie recht unscheinbar und steigert sich zum Ende hin gewaltig: Die Bässe steigen ungewöhnlich tief hinab bis zum tiefen C, scheren weit nach unten aus, ein toller Effekt. „Die Grabeskluft öffnet sich“, assoziiert Klosinski. Danach entfalten sich wahrhaft paradiesische, schier unendliche Schlussakkorde in vornehm dunklem, sakralem As-Dur: „Auf dieses Fest warten wir 120 Takte!“
Rund 300 Lieder schrieb Josephine Lang. Daneben entstand nur eine Handvoll Chorsätze, manche wohl für Silchers Akademische Liedertafel. Tatsächlich wird Ensemble Horizons in der Motette Langs gesamtes schmales Chor-Oeuvre aufführen, darunter ein Ave Maria (ebenfalls eine Uraufführung), ein „Tauflied“ (möglicherweise auch zum ersten Mal öffentlich aufgeführt), ein „Lied an den Mai“ und das Ständchen „In dem Himmel ruht die Erde“.
Klosinski hat viel Archivmaterial durchforstet, um Chorwerke von allen vier Haupt-Komponistinnen des Festivals zu finden: Josephine Lang, Emilie Mayer, Luise Adolpha Le Beau und Ethel Smyth. Auch die 2012 verstorbene Tübinger Komponistin Marianne Stoll ist vertreten, mit einer knapp zehnminütigen Psalm-Vertonung, das längste Werk im Programm. Da von den meisten dieser Chorwerke noch überhaupt keine Tonaufnahmen vorliegen, wird der SWR das Motetten-Programm mitschneiden. Die Woche drauf spielt Ensemble Horizons die Chorsätze auch auf CD ein.
Konnten zu Silchers und Grischkats Zeiten Gesangvereine noch mit sangeskundigen Schulabgängern vor Ort rechnen, ist das heute anders. Zwar hat sich ihre Zahl verringert, doch sie finden leichter zusammen. So vereint der gemischte Kammerchor Ensemble Horizons bestens geschulte Sängerinnen und Sänger aus dem Südwesten, die Spaß an anspruchsvoller Chorliteratur haben.
2018 durch den in Öschingen gebürtigen Matthias Klosinski gegründet, der wie mancher Mitstreiter im Knabenchor anfing, legte das Vokalensemble Ensemble Horizons damals aus dem Stand einen Traumstart hin, wird mittlerweile durch die Stadt Tübingen gefördert und kooperiert mit den staatlichen Schlössern und Gärten des Landes.
Nun trat es im Silchersaal der Tübinger Museumsgesellschaft erneut vors Publikum. Diesmal öffneten sich die "Horizonte" den Elementen Feuer und Wasser, die seit jeher als Bilder für existentielle Aspekte verwendet werden und daneben auch ganz real – etwa am Samstag als Fackel am Stocherkahn – Gefahr bringen können. Das Programm verband weltliche Chorsätze in drei Blöcken: Renaissance, Romantik, 20. Jahrhundert bis heute. Meist handelte es sich um Gedichtvertonungen, wobei leider im Textheft die Namen der Dichter nicht genannt wurden: etwa Torquato Tasso, Mary E. Coleridge, Justinus Kerner, Emanuel Geibel, Shakespeare und Mörike.
Umso mehr überzeugten die Darbietungen selbst. 25 wunderbare, präzise und sicher geführte Stimmen verbanden sich zu einem so homogenen wie flexiblen Gesamtklang, inspiriert durch das tänzerisch-gestische Dirigat von Matthias Klosinski. Jede Sängerin agierte als Solistin, jeder Sänger als Solist, doch nahtlos aufeinander abgestimmt.
So kam besonders die Harmonik der verschiedenen Stilepochen zur Geltung, die Extravaganzen der Renaissance wie die der Spätromantik. Zwischendurch teilte sich das Ensemble in Frauen- und Männerchor; beide beeindruckten durch mustergültige Interpretationen romantischer Chorsätze: mit Schumanns (und Kerners) dämonischem "Wassermann", in dem eine Tübinger Jungfer in den Tiefen des Neckars endet, genauso wie mit Silchers schlichtem Volkslied "Wenn alle Brünnlein fließen".
Ein besonderes Augenmerk galt Dynamik und Ausdruck. So wurden die Kontraste in Elgars "Love's Tempest" zugespitzt und die Abgründe in Frank Martins "Full Fathom Five" ausgelotet, Distlers (und Mörikes) "Feuerreiter" gewann Tiefenschärfe, Whitacres "Water Night" expressive Kraft, und die von Mäntyjärvi vertonte Shakespeare'sche Hexenküche wurde zu einem lustvollen Höllentrip mit Kracher am Ende. Viel Applaus, eine Zugabe.
Tübingen – Motette
Das Ensemble Horizons gab sein beeindruckendes Debüt.
Schrittweise geht es vorwärts Richtung Lockerung, Öffnung, Normalisierung. Gemäß den neuen Richtlinien der Evangelischen Landeskirche wurde letzte Woche die 2G-Regelung aufgehoben. Seit Samstag ist auch Gemeindegesang wieder erlaubt, der seit Dezember untersagt war.
Vor dem Wochenlied „Es ist das Heil uns kommen her“ improvisierte Ingo Bredenbach an der Weigle-Orgel eine kleine, jubilierende Toccata inklusive Fuge. Ein besonderer Moment, als die 350 Motettenbesucher in der Stiftskirche endlich wieder in den Choral einstimmten. Überhaupt wird die Motette am Vorabend des Sonntags Septuagesimae im Gedächtnis bleiben. Der 2018 gegründete, in Tübingen beheimatete Kammerchor „Ensemble Horizons“ ließ sie zu einer Sternstunde werden. Ensemblegründer und -leiter ist der gebürtige Öschinger Matthias Klosinski, Arzt am Münchner Universitäts-Klinikum. Selbst ausgebildeter Tenor und Mitglied diverser Vokalensembles, hat Klosinski hier mit hohem professionellem Anspruch erlesene Stimmen versammelt, darunter zahlreiche Kirchen- und Schulmusiker/innen.
Dabei wäre das Motetten-Debüt fast gescheitert. Noch vor wenigen Wochen waren einige Chormitglieder in Quarantäne, andere sagten kurzfristig ab, so dass die geplanten doppelchörigen Werke nicht mehr in Frage kamen. Für die Besetzung am Samstag aus 13 Frauen und elf Männerstimmen musste komplett neues Repertoire zusammengestellt werden. Und das erstaunlich maßgeschneidert, präzise abgestimmt auf die Liturgie (Dekanin Elisabeth Hege), ein künstlerisch durchkomponiertes Programm.
Mit Johann Hermann Scheins „Wende dich, Herr“ gab das Ensemble gleich eine hochkarätige Visitenkarte ab: ein körperlos transparenter Chorklang in faszinierend schönen Vokalfarben, vollkommen rein und durchscheinend. Schwerelos, ein zarter Klangschleier die Frauenstimmen in Heinrich Schütz’ „Herr, auf dich traue ich“. Bemerkenswert die großen dynamischen Bögen, die Klosinski ziehen ließ, groß angelegte Linien, die durch alle Stücke liefen, ein dramaturgischer Zugriff, der immer die Gesamtarchitektur der Werke im Blick hat.
Mit Rudolf Mauersbergers Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ erinnerte das Ensemble an die Bombardierung Dresdens vor genau 77 Jahren, vom 13. bis 15. Februar 1945. Aschgraue, erloschene Klänge. Aufs Stichwort „Feuer aus der Höhe“ ein infernalisches Crescendo, aber immer mit absoluter Tonkontrolle. Selbst die expressiv dissonanten, aufschreienden Stellen waren nirgends überladen: Gerade die vollkommene Reinheit der Töne machte die Dissonanzen so schneidend scharf.
Ähnlich die gellenden „Gottlos!“-Rufe in Zoltán Kodálys „Jesus und die Krämer“, die Fuge „Er griff eine Geißel auf“ mit rhythmisch prägnanten „Peitschenschlag“-Einsätzen. Dafür zogen durch die vier Silben des Wortes „Jerusalem“ wahre Wunderklänge. Wie auch durch Augustin Kubizeks „Memento mori“ oder Knut Nystedts ätherisch verströmtes „Peace I leave with you“. Auf Scheins „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen“ folgte zuletzt Nystedts „Immortal Bach“: der Bach-Choralsatz „Komm, süßer Tod“ sozusagen ins Unendliche gedehnt, versweise alle Töne in ihrem Verlauf festgehalten, zu zerfließenden Clustern verwischt, langsam gegeneinander verschoben, bis sich am Zeilenende alles wieder in Harmonie einfindet. Auflösung und Ewigkeit in einem. Klosinski fächerte ein sehr feines, subtiles Sepia-Aquarell auf. Danach sehr lange Stille.
Eigentlich wollte man ja doppelchörige Motetten singen, doch Corona bedingte Ausfälle im Chor ließen Dirigent Matthias Klosinksi für das Gastspiel des von ihm gegründeten „Ensemble Horizons“ umplanen. Und so kam das Publikum in St. Bonifaz mit Motetten und Chorälen aus der Renaissance und dem 20. Jahrhundert in den Genuss des Programms „Ich sehne mich nach Deinem Frieden“. Der Wunsch, dass der Chor aus Tübingen hoffentlich bald wieder nach Mainz kommt, sei bereits jetzt geäußert.
Das Konzert beginnt und endet mit Johann Hermann Schein, von 1616 bis 1630 Thomaskantor in Leipzig: „Wende Dich, Herr, und sei mir gnädig“ sowie „Lehre uns bedenken“ aus der Sammlung „Israels Brünnlein“. Die beiden Stücke werden vom „Ensemble Horizons“ in ordentlicher Kammerchorgröße klangschön musiziert, auch wenn der Dirigent gerade hier etwas mehr Mut bei der agogischen Gestaltung an den Tag hätte legen können: Das Variieren der Tempi innerhalb der einzelnen Stücke würde diesen sicherlich eine noch größere Tiefe schenken.
Egal, denn das „Ensemble Horizons“ schenkt dem Zuhörer nicht nur eine Stunde vorzüglich gesungener Chormusik, sondern mit dieser viel mehr: einen kleinen Lichtblick in einer Zeit, in der Gesang schlechthin lange Zeit verstummt war. Und wenn man dann gleich einen so herausragenden Chor hören darf, möchte man das Gehörte nicht beckmesserisch filetieren, sondern es einfach nur genießen, wozu einem die Gäste aus Tübingen auch reichlich Gelegenheit bieten.
Da ist Rudolf Mauersbergers „Wie liegt die Stadt so wüst“ – ein besonderes Erlebnis nicht nur, weil der seine Motette auf das auf den Tag genau vor 77 Jahren schwer zerstörte Dresden schrieb, sondern weil Matthias Klosinksi sich genügend Zeit für die Entwicklung und Wirkung der flächigen Klänge nimmt: Der Beginn gelingt unglaublich fahl und trostlos, in Quint- und Quartparallelen schreiten die Sänger durch die Trümmer der Stadt und nehmen den Zuhörer dabei an der Hand. Es ist vielleicht eine der innigsten Trauermotetten neuerer Zeit und dem „Ensemble Horizons“ gelingt eine ergreifende Interpretation. Als Mainz am 27. Februar 1945 von der britischen Luftwaffe bombardiert wurde, wurde auch der Konzertort St. Bonifaz vollständig zerstört.
Ein Jahr nach dem Neubau des Gotteshauses 1954 schrieb Augustin Kubizek seine Motette „Memento homo“, in der Männer- und Frauenstimmen erst parallel zueinander lateinische und deutsche Textzeilen intonieren, um sich schließlich mit rhythmischen Anrufen im gemeinsamen Gebet zu vereinen. Wie bei den Stücken von Heinrich Schütz und Hugo Distler sowie der packend plastisch umgesetzten Motette „Jesus und die Krämer“ von Zoltán Kodály überzeugt das „Ensemble Horizons“ auch hier mit einer geschmackvoll ausgewogenen und transparenten Besetzung aller Register.
Der Chorgesang erlebt eine – durch Corona leider wieder ausgebremste – Renaissance, die zu zahlreichen Neugründungen von vokalen Klangkörpern vom solistisch besetzten Ensemble bis zum Kammerchor reicht: Auch das „Ensemble Horizons“ existiert seit 2018 und präsentiert sich mit seiner Besetzung aus professionellen und semiprofessionellen Chorstimmen trotz pandemischer Aktivitätseinschränkungen als exquisiter Kammerchor mit anspruchsvollem Programm.
Dafür steht vor allem auch die als Zugabe musizierte Motette „Immortal Bach“ des norwegischen Komponisten Knut Nystedt: Aus der ersten Zeile des Bach-Chorals „Komm, süßer Tod“ aus Schemellis Gesangbuch (BWV 478) entwickeln sich einzig durch Tempo- und Klangverschiebungen faszinierende Cluster, die sich stets in einem tonalen Wohlklang auflösen. Nystedt hat hierfür übrigens keine Note selbst komponiert, sondern erschafft den zutiefst berührenden Klangkosmos einzig durch Anweisungen, Bachs Melodie variiert zu intonieren. Dass dies dem „Ensemble Horizons“ in der sicherlich ungewohnt ausladenden Akustik von St. Bonifaz derart überzeugend gelang, ist ein weiteres Indiz für dessen hohe Qualität.
Man saß einfach nur da und staunte, ein ums andere Mal überrascht von den Klang-Wundern, die vorüberzogen. Staunte bei dieser Klangperfektion, der detailgenauen Feinheit der Gestaltung, dem unerhört leisen Pianissimo, der Strahlkraft zumal der hohen Tenöre. Es ist erst das dritte Projekt des Ensembles „Horizons“. Und bereits jetzt steigt der 2018 gegründete, in Tübingen beheimatete junge Kammerchor auf einem sagenhaft hohen Niveau ein. Zwölf Frauen- und elf Männerstimmen von solistischer Qualität, unglaublich vielseitig und schlafwandlerisch intonationssicher.
Einige Trouvaillen
Ensemblegründer und -Leiter ist der gebürtige Öschinger Matthias Klosinski, heute mit seiner Familie in München zuhause. Seine musikalische Ausbildung begann er bei den Stuttgarter Hymnuschorknaben und der Reutlinger capella vocalis. Der ausgebildete Tenor und C-Kirchenmusiker singt seit 15 Jahren in diversen Profi-Ensembles wie der Schola Heidelberg, Vocalconsort Berlin oder der Zürcher Singakademie. Nach einem Medizin- und Psychologie-Studium in Freiburg arbeitet Klosinski derzeit als Arzt in einer Augsburger Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Daneben verfolgt er zahlreiche musikalische Projekte, gründete 2016 auch das Männerstimmen-Ensemble „Cantus x“.
Den 180 Zuhörern am Sonntag in der Eberhardskirche präsentierte er ein findig recherchiertes Acappella-Programm zum Thema „Frühling“. Unter den 18 Chorsätzen mancher Klassiker und einige Trouvaillen. Mendelssohns sechs „Lieder, im Freien zu singen“, flankiert von Brahms, Cornelius und Rheinberger, Bruch, Humperdinck und Reger. Hochdifferenziert klangsensible Vokalkunst; ein bewundernswert versierter und kundiger Umgang mit Musik. Faszinierende Klangmagie – selbst in der schmucklos trockenen Akustik der Eberhardskirche: rhythmisch genau und zugleich lyrisch leicht; in Zeitlupe gebannte Momente, verlöschende Decrescendi.
Zwei Lyrik-Lesungen unterbrachen strukturierend die Chorsatzfolgen: Sprecher Bernd Sunten, bis 2011 Fachleiter für Musik am Tübinger Studienseminar, las zuerst klassisch-romantische Frühlings-Gedichte von Goethe, Eichendorff, Uhland und Mörike, dann Modernes von Hofmannsthal, Rose Ausländer, Rilke, Stadler und Trakl.
Die letzte Viertelstunde versammelte ambitioniertes Chorrepertoire wie Weberns atonal sprödes „Entflieht auf leichten Kähnen“ oder Hindemiths Mörike-Parodie „Frühling lässt sein blaues Band“ in herb hin und her gezerrten Sand-im-Getriebe-Dissonanzen. Besonders eindringlich Schönbergs „Schein uns, du liebe Sonne“: ein Abschied vom Winter und von den Verstorbenen, in gewagt langsamem Tempo, mit dahinschwindendem Schnee immer leiser und leiser werdend.
In „Er ist’s“ des 1972 geborenen Zeitgenossen Burkhart Schürmann zeigten die Männerstimmen eine geradezu symphonische Klangfülle. Bei zwei kunstvollen Schumann-Bearbeitungen von Clytus Gottwald – die Klavierlieder „Frühlingsfahrt“ und „Wehmut“, deren Klavierbegleitung Gottwald ebenfalls auf den Chor übertragen und textiert hat – entfaltete sich noch einmal ein vollkommen neues Farbspektrum. Sehr gern würde man Ensemble Horizons mit einem geistlichen Programm in der Stiftskirchen-Motette hören.